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Beitrag vom 27.11.2007
Das Herz ist ein dunkler Wald
Tatjana Zilg
Nicolette Krebitz verfilmte die Geschichte einer Frau, die feststellt, dass ihr Mann ein Doppelleben führt, auf ungewöhnliche und beeindruckende Weise. Nach "Yella" beweist Nina Hoss ...
.. erneut ihr Talent, herausfordernde Rollen mit hoher Authentizität zu interpretieren.
Beim Blick auf die scheinbar glückliche Familie, die in den Anfangsszenen gezeigt wird, könnte fast der Gedanke entstehen, die beiden HauptakteurInnen von "Yella" hätten nun zueinander gefunden und führten ein normales Leben. Denn den männlichen Gegenpart zu Marie, der Rolle von Nina Hoss, hat Devid Striesow übernommen, mit dem sie bereits in "Yella" zu sehen war.
Diesmal spielen sie ein Ehepaar, das in einem Backstein-Reihenhaus am Stadtrand wohnt und zwei kleine Töchter hat. Beide sind klassische MusikerInnen, aber Marie setzt in ihrem Beruf wegen der Kindererziehung aus, während Thomas bei ihrem Vater im Orchester spielt. Viel Elan steckt er auch in sein "Trio Leo", mit dem er Klassik, Popmusik und zeitgenössischen Tanz verbinden will. Dass in der Ehe unter der Oberfläche ein hohes Konfliktpotential schwelt, wird in den ersten Sequenzen schnell deutlich. Marie beobachtet das Familienfrühstück mit ambivalenten Blick. Als sie Thomas mitteilt, am Abend gerne zu seinem Konzert im Schloss Waldeck zu kommen, wehrt dieser erschrocken ab.
Als die kleine Tochter ihrem Vater einen Streich spielen will und ihre Puppe anstelle seiner Geige in den Transportkasten legt, nimmt die Alltagskatastrophe ihren Lauf. Marie verfolgt ihren Ehemann mit dem Fahrrad und stellt fest, dass er nicht zur Arbeit, sondern zu einem anderen Backsteinhaus fährt. Dort sitzt er mit Anna (Franziska Petri), einer Kollegin aus der früheren gemeinsamen Theatergruppe, und einem kleinen Jungen am Frühstückstisch. Marie ist sofort klar, dass Thomas eine zweite Familie hat.
Entsetzt läuft sie davon. Erst nach einigen Umwegen gelangt sie wieder zu ihrem Haus, wo sie ihre beiden Töchter zurückgelassen hat.
Nicolette Krebitz setzt sich mit den Themen, die ihrem Drehbuch zugrunde liegen, auf sehr raffinierte und durchdachte Art auseinander. Viele überraschende Wendungen und Inszenierungen, teils wie in lebendig gewordenen surrealistischen oder expressionistischen Gemälden, hält sie für die KinogängerInnen bereit.
Marie reagiert sehr emotional auf das Ereignis, das die letzten Jahre ihres Leben in Frage zu stellen scheint. Es erstaunt, dass Thomas sich der Auseinandersetzung mit Marie entzieht. Sehr kaltherzig wirkt es, dass er seiner Frau am gleichen Abend den psychologischen Dienst ins Wohnzimmer schickt, statt selbst mit ihr zu reden. Die nüchternen professionellen HelferInnen erklären ihr, dass er Angst um sie und die Kinder habe, aber sich nicht in der Lage sehe, den Konflikt direkt mit ihr auszutragen. Marie schickt die PsychologInnen weg.
Wieder lässt sie die Kinder alleine und fährt zum Schloss Waldeck, wo Thomas bei einem opulent inszenierten Maskenball auftritt. Der Regisseurin gelingt es, in der elegant-gespenstischen Kulisse exzellente Bilder zu finden, um die Gefühlszustände der ProtagonistInnen widerzuspiegeln. Das Handeln der Charaktere wird wie in einem Puzzle mehr und mehr nachvollziehbar. Marie trifft im Schloss auf ihren Vater, erzählt ihm alles, wird aber letztlich von ihm abgewiesen. Er ist selbst Teil des Geschehens während des Maskenballs, bei dem die Gäste hinter ihren Masken sich moralischer Begrenzungen befreien und die sexuelle Freiheit, die heutzutage möglich ist, genießen. Dabei vergessen sie bisweilen die Achtsamkeit füreinander zugunsten einer hedonistischen Weltsicht.
AVIVA-Tipp: Die Fragen, die der Film aufwirft, sind hochaktuell. Wie gut kann es einem Paar wirklich gelingen, den Balanceakt zwischen gemeinsamer Lebensplanung und den eigenen Wünschen zu bewältigen – in einer Zeit, die suggeriert, dass die Zufriedenstellung der subjektiven Bedürfnisse jederzeit möglich und erlaubt ist. Die Dialoge sind dabei nie die Wiederholung der üblichen Argumente, sondern lassen neue Blickwinkel zu.
Das wird auch dadurch verstärkt, dass die Rückblicke auf die Vergangenheit in der Beziehung zwischen Marie und Thomas als Zwei-Personen-Kurztheaterstücke in einem leeren Raum gezeigt werden. Die Emotionen und das jeweilige subjektive Erleben erhalten so eine hohe Intensität und besondere Fokussierung.
Das Beziehungsdrama wird zudem durch die ausgeklügelte filmische Umsetzung zu einem Thriller, der nicht nur die Emotionen bewegt, sondern auch viel Spannung und Nervkitzel bereithält. Dazu trägt der stimmungsvoll eingesetzte Soundtrack mit Schauer einjagendem Indie Rock, sehnsuchtsvoller Klassik und beeindruckender experimenteller Musik genauso bei wie die perfekt ausgewählten Settings, die vom Reihenhaus über verlassene Großstadtstraßen zum Maskenball auf einem Schloss in einem dunklen Märchenwald führen.
Das Herz ist ein dunkler Wald
Deutschland 2007, 86 Minuten
Regie & Buch: Nicolette Krebitz
Verleih: X-Film
Kinostart: 27.12.2007
DarstellerInnen: Nina Hoss, Devid Striesow, Franziska Petri, Marc Hosemann, Monica Bleibtreu, Otto Sander
Der Film im Web: www.x-verleih.de